J.H., 2013

Das Traum-Ich steht allein in der Sandkuhle und blickt in den Abgrund. Plötzlich droht die Abbruchkante, auf der es steht, runterzustürzen. Es überlegt, ob es noch zurückkann, doch die Wurzeln, die die Abbruchkante halten, drohen nachzugeben. Auf der anderen Seite der Sandkuhle stehen geisterhafte Gestalten. Dann sieht das Traum-Ich einen Weg, wie der Abgrund nicht zu tief ist und kann gefahrlos in den weichen Sand springen. Unten wachsen zauberhafte und schöne Pflanzen.

H.H.J., 1920

Traum zu Ugrino, frei nach Hans Henny Jahnn

Erloschenes Ugrino

Ich erinnere mich im Traum der dicken Eichenbalken; aber es verschwindet wieder. Man muß sie doch zeichnen können und bauen, wenn man sie einmal sah! Ich denke einen Augenblick an ein gotisches Fenster mit einem bronzenen Gitter davor. Ich wußte, daß ich es einmal geträumt hatte; nun aber wollten mir die Ornamente nicht wieder einfallen. Ich grübelte und sagte nach langer Zeit: solche Schönheit kann es ja gar nicht geben. – Aber ich sah es doch! – Ich dachte auch schon an die kleine Sakristeitür – und der ganze Dom erstand vor mir; aber ich konnte im Grunde nichts festhalten.

Nun lag ein langer, durch viele Säulen getragener Gang vor mir, an dessen Wänden hin und wieder in großen kupfernen Leuchtern Kerzen brannten. Säulen unwägbarer Schwere, geheimnisvolles Dunkel. Mir waren sie bekannt. Ein Tor, auch das mir bekannt, ein tiefes Wölben wie aus meinem Blut. Mein Herz krampfte sich zusammen, als nun das Tor immer größer wurde und nichts weiter war als eine steingewordene Gebärde. Ich hatte beständig das Gefühl, als müßten unsagbar tiefe Dinge hinter all diesen Gebärden sein, die mir Bogen und Wölbungen und Lichter ausstellten. Dies Gefühl wurde auf Augenblicke so dringend, daß ich vermeinte, in der Vorhalle eines Grabgewölbes zu sein. – Dann fiel meinen Leib ein heftiges Zittern an. Plötzlich überkam es mich wie entsetzliche Furcht, ich hatte niemals die Gruft meiner Urgroßeltern im Heiligen Geist zu Rostock gesehen. Wenn es das war! Wenn es diese Kirche – war und ihr Wohnhaus, das ich meinte.

Ich richtete mich im Bett auf, wollte mir etwas überlegen. Aber ich fragte mich nur, was es wohl auf der Welt geben könnte, das mich noch faszinierte, und ich hörte es in mir: Ganz hohe Gewölbe bauen, gotische Gewölbe aus grauem Stein, ganz von solchen Mauern getragen, die nie bersten – so dick. Es war wie ein Bild und zerging wieder.

NEOGRINO – Der Glaube an ein Traumreich heute & Rückbezüge zur Kleckener Lebensgemeinschaft: „Ugrino – die Utopie“

Kultfigur: Der Schriftsteller und Sekten-Gründer Hans Henny Jahnn während seiner Zeit in Klecken (nach Heinrich Stegemann, 1930)

Hans Henny Jahnn, am 17. Dezember 1894 in Hamburg geboren, gründet bereits zu Schulzeiten eine Glaubensgemeinschaft. Doch diese ist zum Scheitern verurteilt, zu eng ist der neue Glaube ans Christentum angelehnt. So versucht Jahnn etwa gegenüber seinen Eltern, Lehrern und Mitschülern, immer die Wahrheit zu sagen und niemals zu lügen. Viele Anhänger gewinnt er damit nicht. Stattdessen droht sein Vater mit einer Zwangseinweisung in die Irrenanstalt – Jahnn bricht das Experiment ab. Durch den Fehlschlag erkennt er, dass seine radikale Bibelauslegung potenzielle Anhänger verschreckt. Er sucht fortan in der Literatur Wege zur Erlösung. 1920 bekam er den Kleist-Preis und wird für seine extremen Gefühlslagen und Handlungen in seinem Werken bekannt. Er wird Präsident des Kartells „Hamburger Künstlerverband“ und gründet die freie Akademie der Künste in Hamburg.

Um sinnsuchende Altersgenossen anzusprechen, entwickelt er ab 1915 – Jahnn ist damals 21 Jahre alt – eine freigeistige Glaubensgemeinschaft mit dem Namen Ugrino. Er wendet sich damit gegen das Weltbild des wilhelminischen Kaiserreichs und gegen den Militarismus. Seinen Kriegsdienst entgeht er mit einer kurzzeitigen Auswanderung nach Norwegen.

Die Weltanschauung der Sekte wird in dem Romanfragment Ugrino und Ingrabanien ausführlich beschrieben. Hierin schildert er traumhaft eine Figur, die ihr Gedächtnis verloren hat. Dieser von mir illustrierte Alptraum dreht sich in weiten Zügen um einen geplanten Sakralbau, der der Sekte als Kultbau dienen sollte. Er kauft zum Bau dieser Grabkapelle Grundstücke am Flidderberg in Handeloh, scheitert jedoch sowohl an der Bauerschläue der Landeigentümer, als auch an dem utopischen Ausmaß des Entwurfs. Wie viel mehr Sinn hätte es gemacht, wenn man das Bedürfnis nach Pathos und einem höheren Ziel im Leben in dem geplanten Kultbau gesucht hätte, anstatt in den diabolischen Versuchungen der Nationalsozialisten und deren Vorläufern, die stattdessen in der Gegend ihre teilweise revisionistischen Kriegerdenkmäler aufstellten! Ein zweiter Weltkrieg wäre vielleicht ein wenig unwahrscheinlicher geworden… Nicht nur angesichts neuer traumatischer Kriege in Europa erscheint Jahnns Utopie heute so modern, sondern auch durch seine sehr zeitgenössischen Glaubenssätze wie z.B. den Tierschutz. Der Grundgedanke von Ugrino besteht darin, in der Auseinandersetzung mit Kunst, Architektur und Musik sich selbst transzendent wahrzunehmen. Jahnns Kunstreligion feiert aber auch den Körper, das sinnliche Erleben und die sexuelle Freiheit. Jahnn will mit Ugrino eine liberale Gesellschaft erschaffen, die Außenseiter vorurteilslos begrüßt. Seine Motivation dafür ist verständlich: Aufgrund der lebenslangen homosexuellen Liebe zu seinem Schulkameraden Gottfried Harms – 1913 heiraten die beiden inoffiziell – wird Jahnn früh aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen.

Die ersten Mitglieder von Ugrino rekrutieren sich aus dem Freundeskreis von Jahnn und Harms. Hauptsächlich besteht die Gruppe aus jungen Männern wie dem Bildhauer Franz Buse oder dem Mäzen Lorenz Jürgensen. Zusammen verfolgen sie unterschiedliche Ziele: Jahnn will den Orgelbau reformieren, gleichzeitig gründet die Sekte einen Musikverlag, um vergessene Komponisten wie Dietrich Buxtehude zu kanonisieren. In der Öffentlichkeit gibt sich die Glaubensgemeinschaft unterdessen so freizügig und wild wie möglich – um die Scheinmoral ihrer Zeit zu entlarven.

Quelle:

Johannes Spengler, https://tell-review.de/hans-henny-jahnn-oder-wie-man-eine-sekte-gruendet/

Schülerarbeit von Joshua Martens und Elisabetha Nell

T.P., 2023

Ich komme von der Autobahn zu einem Haus direkt in der Nähe der Abfahrt. Dort ist eine Mutter – die ungefähr in meinem Alter ist – die mich für ihre Tochter ausgewählt hat. Doch bevor ich mich der unglaublich schönen Jungfrau nähere, kommt ein Freund von mir, der mich schon häufig zur Vernunft gerufen hat. Er weist mich daraufhin, dass ich Frau und Familie habe und dass ich dies alles aufs Spiel setzen würde dafür. So kehre ich um zu meiner Ehefrau.