T.G., 1998

Heute sah ich rote ferne Berge. Am Horizont, mit steilen Hängen, rauf und runter immer wieder, wie ein Sägeblatt geformt. Um mich eine strahlend helle Wüste. Nur konnte ich mich nicht bewegen, war gefesselt, mußte ständig in einen Brunnen sehen. Nur mit Mühe konnte ich meinen Blick vom Spiegelbild tief unten wenden. Ich merkte, dass ich auf einem Holzgestell gefesselt lag. Mein Blick mußte ständig auf dem Wasser ruhen, wo sich über mir eine drohende Klinge spiegelte. Ich lag eine Ewigkeit so. Es kam mir jedenfalls so vor…Ich fühlte den nahen Tod, in der Wüste wartete ich auf ihn und wartete und wartete… Die Sonne stieg und sank um die tausendmal, und wenn sie richtig stand warf sie den Schatten einer Statue in den Brunnen hinein. Ich sah den Schatten und wußte, es war die schöne Agnes, sie war ständig neben mir. Eine Statue und ein Schaffot.  Ihre zartgeschwungene Hand ganz nah am Griff. Am Hebel, der das Beil in meinen Nacken sausen läßt. Aber es kam nicht… Es war gräßlich und wunderschön zu gleich. Ich fühle sie neben mir stehen und weiß sie wird nicht gehen.

Dann dieser Schatten. Das Krächzen eines gewaltigen schwarzen Vogels, der mit seinen düsteren Schwingen die Sonne verdunkelt…. Er läßt sich auf ihre Schulter nieder, die Sonne versinkt hinter seinem glühenden Federkleid. Er macht sich auf, der unheilsvolle Vogel will auch zu mir…Ich schreie, habe Angst um meine Augen. Vögel fressen zuerst die Augen….schreie, wache auf und bin blind.

Ein Gedanke zu „T.G., 1998“

  1. > Heute sah ich rote ferne Berge.

    berge sind hindernisse, aber überwindbar. auf ihrem gipfel ist man sogar
    frei, aber bis man da erst mal ist…also: in der ferne, in der zukunft (oder einfach
    nur später im traum) erwarten dich hindernisse. die berge geben auch die kulisse ab, gewissermaßen, die kulisse, in welcher dein derzeitiges (immer: zur zeit des traumes) leben spielt.

    > Am Horizont, mit steilen Hängen, rauf und runter immer wieder, wie ein Sägeblatt
    > geformt.

    bei berge dachte ich vorhin nicht nur an hindernis, sondern auch an das ewige auf und
    ab im leben. eine zeitlang empfand ich mein leben, als hätte ich die
    sysiphus-aufgabe, berge abzutragen, und immer dann, wenn ich glücklich einen
    geschafft hatte ging das selbe spiel von vorne los, nur daß ich eben weiter war als
    vorher. so was ähnliches ging mir vorhin schon bei dem bild der berge durch den kopf.
    man muß sie ja nicht unbedingt abtragen, aber geh mal über die alpen, da erlebst du
    was ähnliches: immer wenn du denkst, nur noch diesen berg erklimmen zu müssen, kommt ein neuer und noch einer und nocheiner und… – und dennoch kommst du dabei vorwärts.
    es ist tatsächlich das sysyphus-bild. hier vereint sich wunderbar die lineare und die
    zyklische zeit. ich denke, darauf spielen die berge auch an, wenn du sagst: rauf und
    runter. bemerkenswert aber das sägeblatt. einerseits spielt das auf eine
    regelmäßigkeit im auf und ab des lebens an, aber wie schön (verdichtung!), auch auf
    den oben schon vermuteten einschnitt. etwas sägt.

    > Um mich eine strahlend helle Wüste.

    um dich, das heißt deine umgebung. aber merkwürdig: strahlend helle wüste. wüste ist
    ja klar, öde, lebensfeindlich etc., aber strahlend hell! klar, wüste heißt auch, wenn
    es keine eiswüste ist – und das scheint mir hier nicht der fall, hitze, und vor allem
    sonne. und du sagst ja: strahlend hell. nur würde niemand die sahara meinetwegen als
    strahlend hell beschreiben, sondern eher als gleißend o.ä., negativer eben. aber
    strahlend hell scheint mir paradox. deine umgebung und damit wieder die lebenskulisse
    ist zwar einerseits von leere gezeichnet, doch nicht in düsternis, sondern herrlich
    ausgeleuchtet. wieder das lichtsymbol. also: augenlicht, abendlicht…noch scheint
    dir das licht, sogar strahlend, doch deutet sich bereits, wie wir sahen, das
    schwinden des lichtes an. licht, das ist geist, ist zuversicht, ist
    helligkeit/klarheit, da war sogar mal einer, der sagte, er sei das licht der welt,
    licht ist leben. da ist leben in der wüste.

    > Nur konnte ich mich nicht bewegen, war gefesselt,

    da haben wir also außer dem sysiphus auch noch den prometheus, sehr mythologisch, das
    ganze. wie war das noch? – der hat den menschen das feuer (schon wieder licht und
    leidenschaft) gebracht und wurde zur strafe angekettet. aber noch frißt niemand deine
    leber, du glücklicher, aber die ewige wiederkehr des selben hatten wir ja sowieso
    schon, nicht mehr nötig, das explizit zu träumen, steckt ja im prometeus-bild auch
    drin.jetzt haben wir schon zwei, die licht/feuer bringen.etwas fesselt dich. du bist
    von etwas gefesselt, zugleich gehemmt, in der bewegung gehindert.
    also bis hier: etwas dämmert dir, etwas sägt (nagt?) an dir, etwas hemmt dich, was
    dich aber auch fasziniert (auch fesselt).

    ich glaube, das kriegt eine richtung. später mehr dazu.

    > mußte ständig in einen Brunnen sehen.

    jau, das passt. könnte stimmen. zunächst: du mußt in den brunnen sehen, hat was
    zwanghaftes. zumindest kannst du gar nicht anders. kann aber auch heißen: dies ist
    es, was du zu tun hast, du mußt , im sinne einer aufgabe, oder so. (aufgabe, ist
    lustig, daß ich „aufgabe“ sage, soll das heißen, daß du was aufgeben sollst? wir
    hatten ja bereits den einschnitt…)brunnen ist super: brunnen heißt quelle,
    ursprung, heißt auch höhle, aber das weiblichkeitssymbol scheint mir hier
    unangebraxcht, es sei denn: geburtskanal, ist ja auch ursprung. aber das hier ist
    glaube ich, noch mehr: ist „urgrund“, ist ursprung allen seins. im brunnen gibts ja
    auch wasser, und wasser ist lebenssymbol, erst recht in der wüste.
    während um dich also leere herscht starrst du auf den urgrund, auf das leben selbst.
    durstig? aber das starren in den brunnen hat was vom „starren des kaninchens auf die
    schlange“, zwar nicht auf was bedrohliches, aber die tatsache, daß du starrst gibt
    dem lebensspendenden brunnen etwas bedrohlich scheinendes, ist ja auch nicht von
    ungefähr, wenn man aufs leben blickt. dennoch, das starren, wie ich es jetzt nenne,
    ist eben ’starr‘, bist ja auch regungslos gefesselt, das starren auf den urgrund
    macht dich starr, das scheint es mir, was dich so fesselt, in beiderlei
    konnotationen.

    > Nur mit Mühe konnte ich meinen Blick vom Spiegelbild tief unten wenden.

    es fügt sich: im brunnen erblickst du dein spiegelbild. du ahnst es: narziß! du
    (klasse: sysiphus, promi und narziß)du blickst auf dich, willst dich selbst
    erforschen (bestimmt nicht das schlechteste), blickst auf deinen eigenen grund, also
    doch geburtskanal, versuchst dich zu ergründen. vielleicht auch gerade, weil du deine
    welt als leer empfindest. doch achtung: das starren auf sich selbst kann sehr leicht
    ein – und hier stimmt das bild – narzißtisches starren sein, ein auf sich
    gerichtetsein, du kannst dich von dir (deinem anblick) kaum lösen! loslassen ist aber
    das wichtigste im leben, und wenn du dich erkennen willst, dann nur indem du dich
    lösen kannst. das glück ist keines, sobald man es halten möchte; den lauf einer katze
    kann man nicht studieren, solange man sie festhält. mir fallen keine blöderen
    beispiele ein, ich glaube, du weißt, was ich meine: wieviel mehr hemmen wir uns
    selbst, wenn wir nicht von uns lassen können.

    > Ich merkte das ich auf einem Holzgestell gefesselt lag.

    holzgestell sagt mir nix, mit gestellen habe ich immer schwierigkeiten, zu
    assoziiern.

    > Mein Blick mußte ständig auf dem Wasser ruhen,

    wieder „müssen“, nicht ablassen können, aber immerhin, dein blick ruht, das nimmt
    erst mal wieder von der dramatik. wasser = leben, hatten wir schon.

    > wo sich über mir eine drohende Klinge spiegelte.

    jetzt gehts aber los: das damoklesschwert. wie gesagt, etwas erwartet dich. (jetzt
    explizit bedrohlich) klinge, mit verlaub, denkst du etwa an selbstmord?

    > Ich lag eine Ewigkeit so, es kam mir jedenfalls so vor…

    bei ewigkeit fällt mir nur die dritte erscheinungsform der zeit ein, neben linearer
    und zyklischer zeit. immerhin bekommt dein traum dadurch eine art ganzheitlichkeit.

    > Ich fühlte den nahen Tod, in der Wüste wartete ich auf ihn und wartete und
    > wartete…

    du fühlst da was auf dich zukommen, sagte ich schon. tod muß nicht „tod“ heißen.
    sterben meint im traum das absterben von etwas, in einem drin. (das wirkliche
    „sterben“ zeigt sich in ganz anderen bildern!) das kann aber auch positiv sein, auch
    negatives kann ja absterben. oft hat man ja angst vor einem wandel, auch wenn er ins
    positive führt („angst vor dem ende eines starren systems“, wenn ich dich hier
    zitieren darf, und dabei nochmal das wort „starr“ einbringen)allein, die
    farbensymbolik zu beginn deines traumes scheint mir recht zu geben, es zeichnet sich
    ein wandel an, der nicht so drastisch verläuft, wie er hier droht. (ich glaube, die
    beängstigenden bilder rühren eher aus der angst davor)

    > Die Sonne stieg und sank um die tausendmal,

    ha, sag ich’s nicht? – dämmerung! – und wiederholung.

    > und wenn sie richtig stand, warf sie den Schatten einer Statue in den Brunnen
    > hinein. Ich sah den Schatten und wußte, es war die schöne Agnes, sie war ständig
    > neben mir.

    leider kenne ich agnes nicht, und nicht welche rolle sie in deinem leben spielt. wäre
    jetzt sehr wichtig. laß mich raten (nicht böse sein)ich gehe erstmal weiter,
    vielleicht sagt mir das mehr dazu.

    > Eine Statue und ein Schaffot.

    eine statue ist ein bild. du liebst agnes, ihr seid aber nicht zusammen? – denn sie
    ist neben dir, das verstehe ich als freundschaft, unter der du vielleicht leidest,
    weil dir nach mehr verlangt? jetzt mal aus dem nähkästchen: in solcher situation
    passierte mir stets, daß ich, je länger ich schmachtete (schmachten / wüste = das
    paßt), desto mehr machte ich meine angebetete zum bild! ich machte sie immer lebloser
    (passierte mir schon öfter, zugegeben), würdigte sie zum objekt meiner begierde
    herab, durchaus narzißtisch zu verstehen! eine statue ist etwas besonders regungs-
    also lebloses. das resultat: meine selbstbezogene liebe verwandelte sich so in eine
    bedrohung meines ichs, in ein schaffot! ich schwor gewissermaßen mein urteil
    herbei.ihr schatten ward in den brunnen geworfen. du projizierst ihr bild dorthin, wo
    deines ist. projektion, du nimmst eine vor. dieses hineinwerfen klingt auch nach
    einem einsatz, sie ist der einsatz im lebensroulette, da du sie in den brunnen
    wirfst, glaube ich nicht überinterpretiert. der einsatz heißt: alles oder nichts.

    > Ihre zartgeschwungene Hand ganz nah am Griff.

    sorry, das ist eindeutig eine sexuelle handlung. ich will dir ja nicht zu nahe
    treten. vielleicht habe ich auch falsch geraten, und ihr seid/wart euch näher, als
    ich dachte?

    > Am Hebel der das Beil in meinen Nacken sausen läßt.

    diese handlung bringt/brachte etwas in gang, mit dem du nicht fertig wirst, ein
    besitzergreifen dergestalt, daß du dir zunehmend ein bild machtest („du sollst dir
    kein bildnis machen“ trifft nicht nur auf gott zu, den ich vorhin deswegen nicht
    benennen wollte), etwas, das dein selbst bedroht.

    > Aber es kam nicht… (auch sexuell, aber nicht nur) Es war gräßlich und wunderschön
    > zu gleich.

    oh ja, ich glaube, ich bin auf’m richtigen dampfer! das kenne ich. diese ambivalenz
    macht es einem unmöglich, sich von einem bild zu lösen, das nimmt gefangen, das
    fesselt!es kann aber auch – falls ich falsch geraten habe – bedeuten, daß du genau
    davor angst hast, daß es so kommt, wie ich sage.

    > Ich fühl sie neben mir stehen und weiß, sie wird nicht gehen.

    schön, das heißt, daß sie nicht gehen wird kann meinen, daß sie zwar bei dir bleibt,
    aber auch, daß sie in regungslosigkeit verharrt.

    > Dann dieser Schatten. Das Krächzen eines gewaltigen schwarzen Vogels, der mit
    > seinen düstren Schwingen die Sonne verdunkelt….

    aua, jetzt doch noch die todessymbole. das licht, das so eine wichtige rolle spielte
    verschwindet jetzt doch noch…

    > Er läßt sich auf ihre Schulter nieder, die Sonne hinter seinem glühendem Federkleid
    > versinkt.

    sag ich doch, dämmerung

    > Er macht sich auf, der unheilsvolle Vogel will auch zu mir…Ich schreie, habe
    > Angst um meine Augen.
    > Vögel fressen zuerst die Augen….

    aaaah, prometheus! dein adler ist ein todesvogel und deine leber sind deine augen!!!!

    > schreie, wache auf und bin blind.

    tröste dich, bei so viel antike ist es erlaubt auch noch den ödipus mit reinzunehmen.
    der wurde weise, nachdem er sich die augen ausstach.

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